Bildquelle: Axel Rühle, Taxi Times
Manchmal ist Deutschland ein komisches Land! Sonntagsreden oder Zeitungsschlagzeilen spiegeln nur einen Bruchteil der Realität wider. Aber in der Öffentlichkeit wird dieser Bruchteil als das große Ganze wahrgenommen. Wenn es um Mobilität geht, dann kann es in Deutschland besonders komisch sein. Nur leider sind diese komischen Zustände nicht lustig. Die Debatte auf dem Parlamentarischen Abend des Bundesverbandes zur Mobilität auf dem Lande zeigte dies deutlich.
Was sind die speziellen Herausforderungen der Mobilität auf dem Lande? wollte Michael Oppermann von seinen geladenen Gästen wissen. Jan Plobner (SPD) und Michael Donth (CDU), beide Verkehrsexperten ihrer Fraktionen im Bundestag, sowie Herwig Kollar, Präsident des Bundesverbandes, lagen dabei in ihrer Analyse nicht so weit auseinander.
Wie bleiben Menschen in dünner besiedelten Gebieten mobil?
„Die Wege sind weiter, es sind weniger Menschen und die Wege, die man gehen muss, sind ganz andere als in den Städten“, konstatierte denn auch der Sozialdemokrat und kam zu dem Schluss: „Mobilität muss mitgedacht werden und das bedeutet, dass wir das Auto auf längere Sicht nicht wegdiskutieren können. Und für die, die das nicht selbst leisten können, wird das Taxi und andere Mobilitätsdienstleistungen eine große Rolle spielen“. In der Stadt mit mehr Leuten auf engem Raum rentiere sich das Angebot auch wirtschaftlich, auf dem Land nicht. Der CDU-Politiker in der Runde nickte. Er war mit einem Leihroller zum Veranstaltungsort, der Landesvertretung Saarland mitten im Berliner Regierungsviertel, gekommen. Einen Service, den es mittlerweile auch im Wahlkreis des 56-jährigen auf der Schwäbischen Alb gibt. Michael Donth: „So umstritten die Roller sind, sie sind ein Angebot für die ´letzte Meile´“. Allerdings führe daheim kein Weg am Auto vorbei. In der Familie gebe es zwei Wagen, einer davon sei ein E-Auto. Das nutze er – ungefähr 30.000 Kilometer im Jahr. „Ich könnte mein Geschäft gar nicht mit dem ÖPNV erledigen. Aber ich habe einen Kollegen aus Düsseldorf, der braucht dagegen gar kein Auto.“ – „Ich habe mit Verwunderung gelesen, 30 Prozent der Bevölkerung in Deutschland lebt in Städten“, auf diese Zahlen machte Verbandspräsident Herwig Kollar in der Debatte aufmerksam.
70 Prozent der Deutschen leben im ländlichen Raum
„Das heißt im Umkehrschluss: 70 Prozent der Deutschen leben im ländlichen Raum“, fuhr Kollar fort und zitierte aus der Begründung zur PBefG-Novelle von 2021, warum nun endlich der Bedarfsverkehr geregelt werden müsse. Dabei werde zwar auf die Struktur im ländlichen Raum Bezug genommen, gleichzeitig stehe dort aber, relevant werde dies wahrscheinlich nur in Städten mit 200.000 Einwohnern. „Und genau da liegt die Krux: In den städtischen Regionen gibt es die entsprechende Nachfrage nach Mobilität. Damit wird ein Angebot geschaffen und auf dem Markt wird um diese Nachfrage auch konkurriert. Das erleben wir gerade zwischen Plattformunternehmen und Taxis“, so Kollar. „Und in den anderen Gebieten ist Politik noch nicht ehrlich genug! Weil: Da werden Sie mit diesen normalen Marktmechanismen nicht zurechtkommen. Dazu ist die Fläche zu groß, die Nachfrage in den einzelnen Gebieten zu gering, als dass es da einen Wettbewerb von Unternehmen um die Fahrgäste geben könnte“. Zudem könne man den Menschen im ländlichen Raum auch nicht zumuten, den wahren Preis für die Mobilität zu bezahlen, weil das auch Großstädter nicht zahlen müssten. Kollar: „Ich zahle nicht das, was das Angebot mit U-Bahn, Straßenbahn und Bus kostet. Ich zahle nur einen Bruchteil davon. Und der Bevölkerung auf dem Land mutet die Politik derzeit zu: Zahlt mal den Taxitarif!“. Das Fazit des Präsidenten, an seine beiden Diskussionspartner gewandt: „Wenn Politik ehrlich ist und sagt, wir wollen ein annähernd gleiches Mobilitätsangebot oder wenigstens ein Grundmobilitätsangebot auf dem Land haben, dann werden Sie Geld in die Hand nehmen müssen. So wie es im städtischen Bereich auch gemacht wird!“. Beide Verkehrspolitiker hörten aufmerksam zu und nickten zu der Bilanz. Denn dann werde möglicherweise auch das unternehmerische Interesse auf dem Land wieder erweckt, und eventuell komme dann auch wieder der Wettbewerb in Fahrt, so Kollar. „Aber zunächst muss Politik bereit sein, das zu bezahlen, was sie gern bestellen würde“.
Bringt das 49-Euro-Ticket Mobilität auf dem Land nach vorn oder nicht?
Dass das Taxi Teil des öffentlichen Personennahverkehrs ist, ist nicht neu. Aber wie könnten Modelle aussehen, die das Taxi besser in die ÖPNV-Strukturen einbinden? SPD-Mann Plobner räumte ein, dass bei der Finanzierung der Mobilität das Taxi noch nicht so wie Busse und Bahnen mitgedacht werde: „Aber wir können auf lange Sicht nicht so weiter machen, wie wir es bisher gemacht haben.“ Er erlebe in seiner Heimat immer wieder, dass Buslinien eingerichtet und nach einer gewissen Zeit wieder gestrichen würden, weil sie nicht genutzt werden. Plobner: „Wir kommen da auf dem Land nur dann weiter bei einer guten ÖPNV-Versorgung, wenn wir die Unternehmen, die es schon gibt, so aufstellen, dass Mobilitätsdienstleistungen angeboten werden, die die Menschen tatsächlich auch nutzen und die sie bezahlen können“. Aus Sicht des SPD-Mannes sei das 49-Euro-Ticket da der richtige Weg. Es müsse aber gelingen, auch andere Angebote wie das Taxi unter dieses Dach zu bringen und so das Ticket weiterzuentwickeln. Das ist nicht einfach, weil für vieles der Bund nicht immer zuständig sei – vieles davon sei Aufgabe der Länder und der Kommunen. Aber am Ende müssten in Deutschland alle Ebenen für gute ÖPNV-Angebote zusammenarbeiten und die vorhandenen guten Strukturen nutzen.
„Das 49-Euro-Ticket birgt die große Gefahr, dass es die Mobilität auch noch verschlechtert“, konterte CDU-Mann Donth. „Alle finanzieren es, aber genutzt wird es überwiegend im Ballungsraum. Wenn der Bus nicht kommt, ist es mir egal, ob er 49 oder 100 Euro im Monat kostet. Ich nutze ihn nicht, weil er nicht kommt!“. Im ersten Jahr kostete die Finanzierung des 49-Euro-Tickets noch drei Milliarden, weil es im Mai startete. Nun vier Milliarden, weil es über das ganze Jahr läuft – jeweils zur Hälfte von Bund und Ländern getragen. Das Geld könne man aber nur einmal ausgeben. Und Länder wie Donths Heimat Baden-Württemberg hätten dafür 180 Millionen im Landeshaushalt bereitgestellt. Und er zitierte den Ministerpräsidenten, der nicht zu seiner Partei gehöre, wie er betonte: Das Geld, was für den Ausbau der Busverbindungen auf dem Lande eingeplant war, werde nun ins 49-Euro-Ticket gesteckt. Linienverkehr aber müsse künftig bedeuten, dass nicht ein neuer Bus geschaffen werde, der leer fahre. Sondern Linienverkehr müsse bedeuten, dass ich „on demand“ Angebote schaffe. Diese Möglichkeit sei geschaffen, nun müsse es auch in die Köpfe der Landkreise und der Länder! Dann könne man das machen: „Und dann brauche ich Unternehmen, die wissen, wie man Fahrer, Fahrzeuge und Bedarf unter einen Hut kriegt! Und wer kann das?“ fragt Donth in die Runde – und Oppermann assistierte: „Das können unsere Taxi-Unternehmen!“
Wie setzen wir das nun um?
Und der Bundesverbands-Geschäftsführer nahm den Ball weiter auf: „Wir sind uns relativ schnell einig, wie es gehen könnte und dass das Taxi dabei eine Rolle spielen kann, wird und muss! Aber wie kommen wir dahin?“ – Herwig Kollar blickte noch einmal zurück: „Wir waren bei der Verabschiedung der PBefG-Novelle 2021 gar nicht so unzufrieden, gemessen an dem, was ganz am Anfang der Diskussion stand.“ Allerdings: Mit dem Gesetz sei ein tolles Modell mit dem gebündelten Bedarfsverkehr und dem Linienbedarfsverkehr aufgelegt worden. Aber die Umsetzung funktioniere nicht. Verschiedene Interessen stünden dem im Wege, zum Beispiel die Interessen von öffentlichen Verkehrsbetrieben, so Kollar und zitierte aus einer VDV-Studie, die auf dem Nahverkehrstag in Koblenz diskutiert wurde: „Da steht dann allen Ernstes drin: Wir brauchen für den Linienbedarfsverkehr bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben eine Flotte von 50.000 Pkw sowie einen jährlichen Zuschuss in der Größenordnung von drei bis dreieinhalb Milliarden Euro.“ Wenn man das auf das einzelne Fahrzeug herunter rechne, liege man bei 180.000 bis 200.000 Euro Zuschuss. Trotzdem sollen die Fahrgäste auch noch bezahlen. „Da werde allen Ernstes daran gedacht, eine Parallelflotte aufzubauen, die so groß wie das Taxi- und Mietwagengewerbe ist!“ So würden bestehende Strukturen zerstört. Kollar erinnerte auch daran, dass 85 Prozent aller Krankenfahrten vom Taxi bewältigt würden. Wenn diese Strukturen aber zerstört seien, blieben die Patienten auf der Strecke. „Sie können keinen Dialyse-Patienten auf eine Rundreise mit dem „On-demand“-Verkehr schicken.“
Den anwesenden Politikern am Tisch und im Publikum schrieb der Präsident ins Stammbuch: „Sie müssen alles verhindern, dass die bestehenden Strukturen des Taxi- und Mietwagengewerbes auf dem Land zerschlagen werden und sich dazu notfalls auch mit den kommunalen Betrieben anlegen. Hier muss einfach wieder Vernunft einziehen!“ Sowohl Jan Plobner als auch Michael Donth nickten dazu, bleibt abzuwarten, ob diese Botschaft auch umgesetzt wird.
Bildquelle: Axel Rühle, Taxi Times